Widerspruchsverfahren, §§ 68 ff VwGO i. V.
m. § 23 Abs. 2, 3 ASchO
1. |
Allgemeines |
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Gegen schulische Entscheidung, die als
Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Saarl. Verwaltungsverfahrensgesetz (SVwVfG)
zu qualifizieren sind, ist vor Erhebung einer Anfechtungsklage
Widerspruch einzulegen. Das gleiche gilt vor Erhebung einer
Verpflichtungsklage, die auf den Erlass eines (begünstigenden)
Verwaltungsaktes (z. B. Feststellung einer Berechtigung) gerichtet ist.
Das Widerspruchsverfahren dient der vorgerichtlichen verwaltungsinternen
Kontrolle hoheitlichen Handelns. Das Verfahren richtet sich im
Wesentlichen nach den Vorschriften der §§ 68 ff
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). In § 23 Abs. 2 und 3 der Allgemeinen
Schulordnung (ASchO) sind diese Vorschriften im Hinblick auf die
schulischen Besonderheiten präzisiert. |
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2. |
Schulische Entscheidungen als Verwaltungsakt |
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In § 35 SVerwVfG ist der Begriff des Verwaltungsaktes definiert.
Verwaltungsakt ist demnach jede Verfügung, Entscheidung oder andere
hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles
auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare
Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Nach dieser Legaldefinition
besitzt der Verwaltungsakt sechs Begriffsmerkmale (Maßnahme, Behörde,
hoheitlich, Regelung, Einzelfall, unmittelbare Rechtswirkung nach
außen). Alle diese Begriffsmerkmale müssen vorhanden sein, damit die
Verwaltungsaktqualität einer staatlichen Handlung zu bejahen ist. |
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Eine eingehende Auseinandersetzung mit den einzelnen Begriffsmerkmalen des
Verwaltungsaktes würde den Rahmen dieser Praxishilfe sprengen. Deshalb
soll an dieser Stelle eine Aufzählung der wesentlichen schulischen
Handlungen, die als Verwaltungsakt zu qualifizieren sind, genügen. |
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Nach der ständigen Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte sowie der
Verwaltungspraxis der Schulaufsichtsbehörde als Widerspruchsbehörde sind
insbesondere folgende schulischen Maßnahmen als Verwaltungsakte zu
qualifizieren (Auflistung nicht abschließend!): |
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- | Zurückstellen von der Schulbesuchspflicht |
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- | Verpflichtung zum Besuch eines Schulkindergartens oder zur Teilnahme an
einer vergleichbaren besonderen Fördermaßnahme |
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- | Versagen der Genehmigung zum Besuch einer anderen als der zuständigen
Schule |
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- | Nichtversetzung |
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- | Nichterteilung der Schullaufbahnempfehlung für den Besuch eines Gymnasiums |
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- | Nichtbestehen des Übergangsverfahrens |
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- | Nichtzulassungsentscheidungen zu einer Jahrgangsstufe oder zu einer
Prüfung |
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- | Nichtbestehen einer Abschlussprüfung (z. B. Hauptschulabschluss, Mittlerer
Bildungsabschluss, Fachabitur, Abitur) |
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- | Einstufungsentscheidung an der Erweiterten Realschule |
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- | Einstufung in Grund- oder Erweiterungskurs an einer Gesamtschule |
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- | Zeugnisnoten: |
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Zeugnisnoten sind nur dann als Verwaltungsakte zu qualifizieren, wenn
ihnen für sich genommen eine herausgehobene Bedeutung und damit auch
eine rechtliche Außenwirkung zukommt. Dies kann etwa bei einzelnen
Zeugnisnoten eines Abschlusszeugnisses oder bei Noten des
Verhaltenszeugnisses der Fall sein. |
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- | Schulordnungsmaßnahmen |
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Keine Verwaltungsakte sind beispielsweise Halbjahreszeugnisse, einzelne
Zeugnisnoten, sofern sie für sich genommen keine Außenwirkung entfalten
oder einfache erzieherische Maßnahmen (Pausenverbot, Nachsitzen,
Reinigungsauflagen…). |
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Gegen diese schulischen Maßnahmen ist Rechtschutz über eine allgemeine
Leistungsklage beim zuständigen Verwaltungsgericht zu erlangen. Ein
Widerspruchsverfahren entfällt in diesen Fällen. |
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3. |
Verfahren |
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a) | Einlegung des Widerspruchs, Frist (§ 70 VwGO) |
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Der Widerspruch ist bei der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat
(Schule), schriftlich oder zur Niederschrift einzulegen. Die Frist zu
Einlegung des Widerspruchs beträgt
einen Monat nach seiner
Bekanntgabe, falls der Bescheid über die Maßnahme der Schule mit
einer entsprechenden Rechtsbehelfsbelehrung1 versehen gewesen ist. Falls auf
eine Rechtsbehelfsbelehrung verzichtet worden ist (etwa bei Zeugnissen),
beträgt die Frist ein Jahr ab Bekanntgabe der Maßnahme. Diese Fristen
bleiben auch gewahrt, wenn der Widerspruch bei der für die
Widerspruchsentscheidung zuständigen Stelle (Schulaufsicht = Ministerium
für Bildung, Familie, Frauen und Kultur) eingelegt wird. |
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b) | Prüfen einer möglichen Abhilfeentscheidung durch die Schule/
Widerspruchskonferenz (§ 72 VwGO, § 23 Abs. 2 Satz 3 ASchO) |
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Nach Einlegung des Widerspruchs prüft die Schule unverzüglich (d.h. ohne
schuldhafte Zögern), ob sie ihm abhilft oder ob nicht. Diese
Entscheidung wird in aller Regel von der Person (Fachlehrer,
Schulleiter) oder von dem Gremium (Klassenkonferenz, Gesamtkonferenz)
getroffen, die/das auch für die angefochtene Maßnahme verantwortlich
gewesen ist. |
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Eine nochmalige Anhörung des Widerspruchsführers ist meistens nicht mehr
rechtlich notwendig, kann aber aus Gründen der Transparenz der
schulischen Entscheidungsfindung trotzdem immer erfolgen. Eine (ggf.
weitere) Anhörung im Rahmen der Prüfung einer Abhilfeentscheidung sollte
dann erfolgen, wenn die Anhörung vor Erlass der streitgegenständlichen
Maßnahme versäumt worden ist oder wenn sich im Widerspruchsverfahren
wesentliche neue Erkenntnisse oder Erkenntnismöglichkeiten (z. B. durch
Befragung neuer Zeugen o. ä.) ergeben haben. |
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c1) | Kommt die Schule zu dem Ergebnis, dass der Widerspruch begründet ist,
hilft sie ihm ab und entscheidet über die Kosten (§ 72 VwGO). Damit ist
das Widerspruchsverfahren an dieser Stelle beendet. |
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Einzelheiten zu der zu treffenden Kostenentscheidung sind der Rubrik „6.
Kosten“ ausgeführt. |
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c2) |
Hilft die Schule dem Widerspruch nicht ab, so leitet der Schulleiter die
(vollständigen!) Akten2 nebst einer Stellungnahme der
entscheidenden Person/des entscheidenden Gremiums an die
Schulaufsichtsbehörde weiter, die über den Widerspruch entscheidet (§ 23
Abs. 2 Satz 4 ASchO). |
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Es ist zwar nicht gesetzlich vorgesehen, dennoch ist es sinnvoll, dem
Widerspruchsführer eine entsprechende Abgabenachricht zukommen zu
lassen, aus der auch hervorgeht, aus welchen Gründen dem Widerspruch
nicht abgeholfen worden ist. Sollten im Rahmen der Prüfung der Abhilfe
dienstliche Stellungnahmen von Lehrkräften (etwa zur Notenfestsetzung)
angefertigt worden sein, was sich immer empfiehlt, können diese an den
Widerspruchsführer weitergegeben werden. Diese sind Bestandteil der
Verwaltungsakte, die der Widerspruchsführer im Rahmen seines Rechtes auf
Akteneinsichtnahme ohnehin einsehen dürfte. |
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Bewährt hat es sich, dem Widerspruchsführer vor Weiterleitung des
Vorganges an die Schulaufsicht einige Tage Bedenkzeit einzuräumen, um
entscheiden zu können, ob er die Nichtabhilfeentscheidung der Schule
akzeptiert. Die Praxis zeigt, dass viele Widerspruchsführer dann von
einer weiteren Verfolgung des Widerspruches – die im Übrigen auch mit
Kosten verbunden sein kann – Abstand nehmen. |
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Sollte dies nicht der Fall sein, entscheidet die Schulaufsichtsbehörde
durch Widerspruchsbescheid. Dieser ist zu begründen, mit einer
Rechtsmittelbelehrung zu versehen und zuzustellen (§ 73 VwGO). |
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4. |
Rechtsbeistand/Bevollmächtigter (i. d. R. Rechtsanwalt) |
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Der Widerspruchsführer hat das Recht, sich von einem
Rechtsbeistand/Bevollmächtigten beraten/vertreten zu lassen. Diesem
stehen die gleichen Verfahrensrechte wie dem Widerspruchsführer selbst
zu. Beispielsweise ist er berechtigt, an einer anberaumten
Widerspruchskonferenz, zu der der Widerspruchsführer geladen worden ist,
ebenfalls teilzunehmen und gehört zu werden. |
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Der Schriftwechsel läuft in der Regel über den Bevollmächtigten. Dennoch
ist es dem Widerspruchsführer nach wie vor möglich, selbst im Verfahren
aufzutreten und zu handeln. |
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5. |
Suspensiveffekt/Aufschiebende Wirkung |
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Grundsätzlich entfalten Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende
Wirkung (vgl. § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO), d. h. der in dem Verwaltungsakt
getroffenen Regelung muss zunächst nicht Folge geleistet werden. |
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Dies trifft auf schulische Verwaltungsakte aber nur mit Einschränkungen
zu. Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass die gewünschte
Rechtsfolge in vielen Fällen durch die bloße Aussetzung des belastenden
Verwaltungsaktes noch nicht erreicht wird; der Widerspruch enthält hier
sowohl einen gegen die getroffene Entscheidung gerichteten anfechtenden
Teil und gleichzeitig auch einen auf Erlass einer anderen Entscheidung
gerichteten verpflichtenden Teil. So führt beispielsweise der
Widerspruch gegen die Einstufung eines Kindes in den H-Zweig einer
Erweiterten Realschule nicht zur vorläufigen Einstufung in den M-Zweig.
Diese bedarf vielmehr einer entsprechenden Einstufungsentscheidung der
Schule, die durch den Widerspruch nicht ersetzt wird. Zum anderen ist
der sogenannte Suspensiveffekt etwa im Bereich der
Schulordnungsmaßnahmen bereits
gesetzlich ausgeschlossen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 ASchO und § 32 Abs. 8
SchoG). |
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Will sich der Widerspruchsführer in diesen Fällen nicht damit zufrieden
geben, dass er der getroffenen Regelung der Schule zunächst Folge
leisten muss, muss er verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz gemäß §
123 VwGO (Erlass einer einstweiligen Anordnung) oder § 80 Abs. 5 VwGO
(Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung) in Anspruch nehmen. |
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6. |
Kosten |
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Kosten fallen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens in zweifacher Hinsicht
an. Zum einen entstehen dem Widerspruchsführer Kosten im Zusammenhang
mit der Einlegung des Widerspruches, zum anderen fällt eine gesetzliche
Widerspruchsgebühr bei einer abweisenden Widerspruchsentscheidung durch
die Schulaufsicht an. |
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a) |
Kosten des Widerspruchsführers |
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Hierunter fallen alle Kosten, die dem Widerspruchsführer im Zusammenhang
mit der Verfolgung seines Widerspruches entstanden sind. Dies sind z. B.
Portokosten, Kosten für Papier, Fotokopien, Fahrtkosten, Kosten für die
Inanspruchnahme eines Rechtsanwaltes usw. |
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Diese Kosten sind dem Widerspruchsführer im Falle einer
Abhilfeentscheidung grundsätzlich zu erstatten, sofern sie von diesem
geltend gemacht werden (§ 80 Abs. 1 Satz 1 SVwVfG). Dies gilt auch für
den Fall, dass der Widerspruch nur deshalb abgewiesen worden ist, weil
ein Verstoß gegen eine Verfahrens- oder Formvorschrift (z. B.
unterbliebene Anhörung) nach § 45 SVwVfG unbeachtlich gewesen, d. h. im
Nachhinein geheilt worden ist (§ 80 Abs. 1 Satz 2 SVwVfG). |
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Die Gebühren oder Auslagen eines Rechtsanwaltes oder eines sonstigen
Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren sind dann erstattungsfähig,
wenn die Zuziehung notwendig gewesen ist (§ 80 Abs. 2 SVwVfG). Dies ist
im Zusammenhang mit schulrechtlichen Streitigkeiten in aller Regel
anzunehmen. Ausnahmsweise kann die Notwendigkeit der Zuziehung verneint
werden, wenn der Widerspruchsführer etwa durch seinen Beruf in der
entsprechenden Rechtsmaterie bewandert ist. |
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b) |
Widerspruchsgebühr |
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Gemäß § 9a Abs. 1 des Saarl. Gebührengesetzes erhebt die
Widerspruchsbehörde eine Widerspruchsgebühr. |
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Grundlage der Festlegung der Widerspruchsgebühr ist der im
Widerspruchsbescheid festgesetzte Geschäftswert. Da bei schulrechtlichen
Entscheidungen in der Regel keine konkreten Streitwerte zu Grunde gelegt
werden können, orientiert sich die Höhe des Geschäftswertes
an dem Auffangwert für
verwaltungsgerichtliche Verfahren (vgl. § 52 Abs. 2
Gerichtskostengesetz). Dieser beträgt 5.000,00 EUR. Je nach Bedeutung
des Verfahrens wird der Auffangstreitwert entweder in voller Höhe oder
entsprechend abgestuft in Ansatz gebracht. Der volle Streitwert würde
beispielsweise bei einer Nichtversetzung oder einer nicht bestandenen
Abschlussprüfung angesetzt werden. Eine Abstufung auf den halben
Auffangwert würde etwa bei einer Einstufungsentscheidung an der
Erweiterten Realschule vorgenommen werden. |
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Die Festlegung der Widerspruchsgebühr erfolgt nach
den
Richtlinien über die Festsetzung der Gebühren im Widerspruchsverfahren
gemäß § 9a des Saarländischen Gebührengesetzes vom 30. Januar 2002 (GMBl.
S. 3) auf der Grundlage des festgesetzten Geschäftswertes. Bei Annahme
eines mittleren Verwaltungsaufwandes bei der Erstellung des
Widerspruchsbescheides beträgt die Widerspruchsgebühr zurzeit maximal
150,00 EUR. |
1
Amtl. Muster einer Rechtsbehelfsbelehrung (GMBl. Saar 1997, S. 188):
„Gegen diesen (diese) ... (Bescheid, Verfügung,
Anordnung oder Entscheidung) kann innerhalb eines Monats nach
Bekanntgabe Widerspruch erhoben werden. Der Widerspruch ist bei ...
(Anschrift der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat) schriftlich
oder zur Niederschrift einzulegen.“
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